Unser Boot schaukelt leicht als ich auf der roten Plastikbank ganz nach außen rutsche und über den Bootsrand in das dunkle Gewässer der Everglades neben mir blicke. Ich frage mich, wie weit der nächste Alligator wohl entfernt ist und schaudere dabei, als der junge Mann vor mir seine Finger kurz ins Wasser taucht um seinen kleinen Sohn zu erheitern. „We haven’t seen any Alligators today but we might see some as it cooled down a little bit.“ So so, den Alligatoren war es wohl auch zu heiß…
Aus mangelnder Anzahl an Alternativen sitze ich nun also tatsächlich mit Watte in den Ohren in einem dieser touristischen, touristischen Touristen-Airboats, und freue mich nun doch ein bisschen auf die 40 minütige Tour durch einen Teil des 5600km² großen subtropischen Sumpflandes und gleichzeitig zweitgrößten Nationalpark der USA.
Wir gleiten teilweise fast geräuschlos durch ein Labyrinth aus schmalen, mit Seerosen bedeckten Kanälen, brettern querfeldein mit fast 35 km/h über die weiten Flächen aus Schilfgräsern und lauschen während der kurzen Stopps den Erzählungen von Dean über Geschichte und Beschaffenheit des von den Indianern genannten „Fluss aus Gras“ (Pahayokee). Tatsächlich handelt es sich bei dem Wasser der Everglades um eine sich langsam bewegende Wasserfläche, die teilweise bis zu 80 km breit und ein Refugium seltener und gefährdeter Tierarten ist. Neben Alligatoren und Krokodilen leben hier über 20 Schlangenarten, Frösche, Salamander und andere Reptilien, unzählige Vogel- und Fischarten, Waschbären, Opposums, Seekühe und sogar der Florida Panther.
Während wir zwischen Mangrovenwäldern, Pond Apples und Hardwood Hammocks hindurchgleiten sieht man sie – Alligatoren! Etwas weiter vor uns ragt ein kleiner dunkler Kopf aus dem Wasser und ohne Dean hätte ich es mit Sicherheit für ein Stück Treibholz gehalten. Langsam bewegt sich das Tier geräuschlos durch das ruhige Gewässer und man sieht den zackigen Rückenpanzer und den langen Schwanz, der sich langsam durch das Wasser schlängelt.
Ich kann mein Glück kaum fassen als ein zweites Tier frontal auf uns zuschwimmt und ich direkt neben unserem Boot in zwei große, komplett schwarze Augen schaue. Faszinierend und unheimlich zugleich…
Das obligatorische Shooting mit einem kleinen verängstigten Babykrokodil skippe ich, genauso wie die angekündigte „Show“ im Garten von Coopertown Airboats, die als erster Anbieter vor Ort seit 1945 Touren durch die sagenumwobenen Everglades anbieten, und passiere pünktlich zum Sonnenuntergang den Ortseingang der kleinen malerischen Bilderbuchstadt Everglades City. Ein wenig verschlafen stehen hier wunderschöne Holzhäuser im „Olde Florida“ Stil weit verteilt auf einem riesigen, sehr gepflegten Areal mit hohen Palmen, umrandet von der wilden subtropischen Vegetation ringsum. Die Rasenflächen wirken wie gerade ausgerollt, Büsche und Sträucher wie gerade zurecht geschnitten und die teilweise auf Stelzen gebauten Häuser mit hell getünchter Holzverkleidung, überdachten schattigen Terrassen, dünnen Metalldächern und vielen kleinen Sprossenfenstern, wie Fassaden aus einem Spielfilm der Anfang des 19. Jahrhunderts spielt. Einst ein Fischerdorf bezeichnte sich das Örtchen nun selbst als Tor zu den „Ten Thousand Islands“ in der vorgelagerten Chokoloskee Bay.
Um die 400 Einwohner zählt Everglades City auf ca. 2,5 km² Fläche – und das merkt man auch. Der Supermarkt hat nur von 6 bis 14 h geöffnet und lediglich das Island Cafe scheint zu dieser Stunde der beliebteste (oder einzige) Spot bei den Einwohnern zu sein. Das hölzern verkleidete Lokal mutet mit den abgetrennten Sitzbereichen vom Stil her an ein eher rustikales, authentisches, amerikanisches Diner und auch der Blick auf die sehr amerikanische Karte vervollständigt das Bild – neben den lokalen Spezialitäten wie „Gator Nuggets“ oder „Fried Frog Legs“ sind auch die anderen Alternativen eher frittiert und selbst die „lighter sides“ werden mit Pommes serviert. Das ist auch der Grund, weswegen nach 10 Minuten zwei bodenständige und authentische blaue Plastikkörbchen mit frittierten Onion Rings, einem fetten Cheeseburger und Pommes auf dem Tisch stehen…und es schmeckt richtig gut! 🙂
Tipp: auch wenn die vierspurige I-75 die schnellere, bequemere und elegantere Option der Verbindung zwischen Floridas Ost- und Westküste zu sein scheint, ist wenigstens eine Strecke auf der langsameren, aber dafür wunderschönen und alten Highway US 41 ein absolutes „Muss“. Unzählige interessante und malerische Stopps, kleine verschlafene Ortschaften und Airboattouren in die Everglades warten auf dem Weg! Teilweise fährt man einige Streckenabschnitte auf der nur zweispurigen US 41 (auch Tamiami Trail genannt) komplett alleine und genau zwischen den sumpfigen Landschaften der Everglades hindurch. Ein einmaliges Erlebnis im Sonnenuntergang, wenn rechts und links die Wasserflächen der Everglades zwischen den Mangrovenwäldern leuchten und für mich die einzig wahre „Alligator Alley“…
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